Bericht zerstört letzte Legitimität des Prostituierten“Schutz”Gesetzes

Erste genossenschaftlich geführte Escort-Agentur fordert vernünftige Reformen

Wie der Bund Deutscher Frauenvereine bereits 1918 erkannte, liegt eine grundlegende Form von Misogynie darin, wenn Regierungen die Körper von Sexarbeiter:innen regulieren Doch auch 2016 noch  wird  diese Praxis im ProstituiertenSchutzGesetz verankert, welches Sexarbeiter:innen die Registrierung vorschreibt . Solche Regulierungen reichen zurück bis zur protestantischen Reformation, als sexuelles Verlangen buchstäblich verteufelt wurde – mit der Folge, dass Sexarbeiter:innen ihre persönliche Autonomie im Namen des „Schutzes“ der Gesellschaft verloren. Frauen galten als Wesen, die Männer in den Kontrollverlust treiben könnten – was angeblich den Untergang der Gesellschaft zur Folge hatte .

Wir denken oft, wir seien in den letzten 100 Jahren weit gekommen in Sachen Geschlechtergerechtigkeit . Aber sind wir das wirklich?

Der deutsche Sprachraum hat eine faszinierende und ungewöhnliche Geschichte im Hinblick auf die Gesetzgebung zur Sexarbeit. Anders als in den meisten Teilen der Welt war Sexarbeit hier fast immer legal – jedoch verbunden mit starker Regulierung der Körper der Sexarbeiter:innen. Jede Epoche fand ihre eigene Begründung dafür, warum ausgerechnet jene Berufsgruppe kontrolliert werden sollte, die sich den Regeln des Patriarchats entzog Meistens war dies entweder ein moralischer Alarmismus („Die moralische Geisteskrankheit von Prostituierten steckt tugendhafte Hausfrauen an!“) oder eine gesundheitliche Panik („Prostituierte sind Super Spreader von Syphilis/HIV/Corona!“).

In der Gegenwart rechtfertigen Politiker:innen repressive Maßnahmen mit dem Verweis auf Menschenhandel. Sexarbeiter:innen wird gesagt, wir müssten unser Grundrecht auf Privatsphäre (garantiert durch die EU-Grundrechtecharta und das Grundgesetz) aufgeben, weil wir eine „besondere Gruppe“ seien, für die Sondergesetze gelten müssten. Ein gängiges Narrativ: Wir seien alle zu traumatisiert oder drogensüchtig, um rationale Entscheidungen über unser Leben zu treffen. Daher brauche es ein ProstituiertenSchutzGesetz, das uns „zu unserem eigenen Schutz“ zwingt, uns zu registrieren. Dazu gehört eine verpflichtende Beratung bei einer Sozialarbeiter*in (die in der Regel keine eigene Erfahrung in der Sexarbeit hat), um sicherzustellen, dass keine:r  von uns zur Arbeit gezwungen wird. Mitglieder von Paramour verlassen diese Termine oft mit dem Gefühl, bevormundet worden zu sein.

Gleichzeitig sind Verstöße gegen das Verbot der Zuhälterei (siehe § 181a StGB; insbesondere der erschwerten Zuhälterei) in Bordellen, Agenturen und anderen Arbeitsorten der Branche an der Tagesordnung – dort passieren häufig systematische Ausbeutungspraktiken. Die Aufsichtsbehörden erkennen oft nicht, dass diese legalisierten Arbeitsplätze bereits die international anerkannten Kriterien für Menschenhandel erfüllen.

Nach geltendem Recht werden private Daten von Sexarbeiter:innen gespeichert und in einer staatlichen Datenbank abgelegt. Angesichts des wachsenden Einflusses der AfD erkennt kaum jemand, dass genau dieses System es den Nazis ermöglichte, sogenannte „sexuelle Abweichler:innen“ oder auch “Asoziale” genannt, aufzuspüren und in Konzentrationslager zu deportieren.

Und jetzt erfahren wir: Dieser Eingriff in unsere Menschenrechte war völlig nutzlos.
Die Evaluierung konnte keinen Nachweis erbringen, dass das ProstSchG den Menschenhandel reduziert hat. Bereits 2021 hieß es:

Henning et al. kamen zu dem Schluss, dass das ProstSchG – trotz Beratungen, Registrierungen, häufigerer Kontrollen und schärferer Strafvorschriften – nicht zu einer vermehrten Aufdeckung von Menschenhandel geführt hat.

Um es noch deutlicher zu sagen:

Laut KOK (Bundesweiter Koordinierungskreis gegen Menschenhandel) fanden 68,01 % der Ausbeutung von Klient:innen bei Beratungsstellen (davon 81 % Opfer von Menschenhandel) im Kontext nicht registrierter sexueller Dienstleistungen statt. Nur 6,03 % dieser Menschen waren offiziell als Sexarbeiter:innen registriert. 

Wer ist das Paramour Collective – und warum betrifft uns das alles so sehr?

Paramour Collective ist die erste gender-inklusive, genossenschaftlich organisierte Escort-Agentur Deutschlands. Wir arbeiten kollektiv, basisdemokratisch und ohne Hierarchien.

Wir gründeten Paramour aufgrund der massiven Ausbeutungserfahrungen, die unsere Mitglieder in unterschiedlichen legalen Kontexten der Sexarbeit in Deutschland gemacht haben. Der Staat verwendet  viele Ressourcen darauf, unseren Körper zu regulieren – aber kaum welche dafür, Ausbeutung in legalem Rahmen zu verhindern.

So ist es in Berlin Standard, dass Bordelle 40–50 % des Einkommens der Arbeiter:innen einbehalten – zusätzlich zu weiteren willkürlichen Gebühren. In Summe geht oft mehr als die Hälfte des Einkommens verloren – was laut Palermo-Protokoll der Definition von Menschenhandel entspricht.

Diese Form der Ausbeutung wird nirgends erfasst. Es gibt keine Daten darüber, wie viele der in legalen, registrierten Betrieben beschäftigten Personen tatsächlich Opfer von Menschenhandel sind. Der Evaluierungsbericht ging auf diese Aspekte der legalisierten Sexarbeit überhaupt nicht ein – er stützte sich ausschließlich auf Selbstauskünfte von Betreiber:innen, um zu prüfen, ob sie gegen das Zuhälterei-Gesetz verstoßen.

Warum ist es unverzichtbar, dass Sexarbeiter:innen das nächste Gesetz mitschreiben?

Und wie sieht ein Beispiel dafür aus, was passiert, wenn Politiker:innen Sexarbeiter:innen nicht zu Wort kommen lassen ?

Lassen Sie uns etwas über die verpflichtende „Gesundheitsberatung“ erzählen.

Seit dem Auftreten der Syphilis im 15. Jahrhundert gibt es das hartnäckige Stigma, dass Sexarbeiter:innen sogenannte „Superspreader“ seien. Noch in den 1990er-Jahren bedeutete das polizeilich durchgesetzte, verpflichtende HIV-Tests für Sexarbeiter:innen.

Aber stimmt dieses Bild heute überhaupt noch?

Die Evaluierung des Prostituiertenschutzgesetzes (ProstSchG) stellte fest:
Die HIV-Prävalenz unter versicherten Sexarbeiter:innen beträgt 0,2 % – genau so viel wie bei sexuell aktiven Menschen in der Allgemeinbevölkerung.

Trotzdem hält sich das Stigma. Es scheint, als habe der Gesetzgeber bei der Ausarbeitung des ProstSchG im Jahr 2016 das Bedürfnis verspürt, „sichtbar etwas zu tun“, um die öffentliche Sorge über Sexarbeiter:innen und sexuell übertragbare Infektionen (STIs) zu beruhigen.

Aus unserer Sicht ist das daraus entstandene Verfahren ehrlich gesagt absurd und sinnlos:

Um ihre Registrierung zu behalten, muss jede:r Sexarbeiter:in einmal jährlich zu einer verpflichtenden Gesundheitsberatung.

„Bei medizinischem Fachpersonal?“, würde man vernünftigerweise fragen.

Leider nein. Diese Beratungen werden nicht von Ärzt:innen, Pflegepersonal oder medizinisch qualifizierten Fachkräften durchgeführt, sondern von Sozialarbeiter:innen mit einer kurzen Basisschulung.

Was erleben wir in der Praxis?

Im besten Fall gehen Sexarbeiter:innen aus der Beratung ohne neue Erkenntnisse nach Hause.

Im schlimmsten Fall wissen sie danach nicht einmal, wie ein Kondom richtig benutzt wird – oder erhalten sogar falsche Informationen.

Zum Beispiel verfügen viele dieser Sozialarbeiter:innen nicht über aktuelles Wissen zu HIV-Prävention mit Prä-Expositions-Prophylaxe (PrEP) – einem der wirksamsten Medikamente unserer Zeit.

Es kam vor, dass Sozialarbeiter:innen Sexarbeiter:innen aktiv von PrEP abgeraten haben, mit der Begründung, diese sei „nicht geeignet für bei Geburt weiblich zugewiesene Personen“.

Das ist gefährliche Fehlinformation, die weibliche, nicht-binäre und trans Sexarbeiter:innen einem erhöhten HIV-Risiko aussetzt.

Für uns ist das absolut inakzeptabel.

Wir befürworten einen Ansatz nach dem Motto: „Staat, Hände weg von meinem Körper.“

Statt einer Kontrolle durch das Prostitutionsbüro wäre eine anonyme, kostenlose Teststation ausschließlich für Sexarbeiter:innen mit besonders schnellen Ergebnissen ein wirklich sinnvoller staatlicher Beitrag.

Die Angebote der Gesundheitsämter – etwa Familienplanungszentren – sind ein guter Anfang.

Allerdings haben Sexarbeiter:innen besondere Bedürfnisse, wenn es um STI-Tests geht:

Wenn ein Kondom reißt, müssen wir sofort einen Test machen können – nicht erst Wochen später.

Wir brauchen die Ergebnisse schnell, denn viele von uns können es sich nicht leisten, während der Wartezeit von bis zu zwei Wochen nicht zu arbeiten.

Sexarbeiter:innen wissen: Wir bleiben gesund, wenn wir die Mittel dazu haben.

Niemand von uns will krank sein.

Während der Corona-Pandemie haben wir gesehen, dass die Regierung in kürzester Zeit ein umfangreiches und subventioniertes Testsystem aufbauen konnte. Andererseits erleben viele Menschen – sogar Sexarbeiter:innen selbst! –, dass sie beim Zugang zu STI-Tests unnötig befragt und überprüft werden, ob sie überhaupt „berechtigt“ seien.

Das anhaltende Fehlen von kostenlosen, barrierearmen und nicht-stigmatisierenden STI-Tests zeigt: Hier mischen sich die moralischen Werturteile des Staates in einen Bereich ein, der eigentlich rein medizinisch sein sollte.

Fragen Sie eine:n beliebige Sexarbeiter:in: Für uns ist das alles selbstverständlich.

Aber wir – die tatsächlichen Expert:innen – müssen einbezogen werden.
Politik, die sich nach der Angst vor einer voreingenommenen Öffentlichkeit richtet, ist immer schädlich und wirkungslos. Sexarbeiter:innen wussten bereits damals, dass das ProstSchG der falsche Weg war – und sie haben es deutlich gesagt.

Aber niemand hat zugehört.

Es ist Zeit für Veränderung.

Unsere Community wartet auf eine Einladung des BMFSFJ, um am Gremium zur Neugestaltung des Gesetzes teilzunehmen – denn 500 Jahre sind lang genug gewartet. Wir wollen endlich eine Politik auf Basis gelebter Erfahrung und belastbarer Daten – anstelle von  politischem Bauchgefühl.

Interviewanfragen willkommen! Kontakt unter:
 📧 Info@ParamourCollective.de

Von webmistress, 03. Jul 2025