Erotische Massagen für den Weltfrieden?
»Ich bin Physiotherapeut, weißt du. Ich habe die ganze Woche über Menschen berührt, aber das ist das erste Mal, dass ich Berührung empfange.«
Mein Klient ist etwa 40, fit und schlank. Er besucht Berlin und hat sich vor dem abendlichen Fußballspiel noch kurz im Massagestudio angemeldet.
»Ich habe das so sehr gebraucht, ohne es zu merken.«
»Ich freue mich, dass du es genießt«, antworte ich und halte kurz inne; »Wie wäre die Welt, wenn die Krankenkasse einmal im Monat eine erotische Massage pro Person übernehmen würde?«, frage ich.
»Dann gäbe es keine Kriege mehr.« Er antwortet ohne Zögern, sofort.
Ich lache, er versteht offenbar den Wert, den ich in dieser Form körperlicher Berührung sehe, und wir tauschen noch ein paar Sätze über die Kraft erotischen Austauschs aus, bevor alle Worte verfliegen und er völlig unter der Kontrolle meiner sanften Meisterschaft steht.
Dann gäbe es keine Kriege mehr.
Dieser Satz und seine direkte Art zu antworten begleiten mich über Wochen, Monate. Er spiegelt so genau den Wert wider, den ich in dieser Arbeit entdeckt habe, seit ich in dieser hypersexualisierten und unterberührten Welt als erotische Masseur:in arbeite. Denn ich habe erkannt, dass erotische Massage Bedürfnisse erfüllen kann, die universell, heilig und tief von allen Menschen empfunden werden. Das Verlangen nach Hingabe, Verehrung, Entspannung, gesehen und gehalten zu werden in den eigenen sexuellen Wünschen – und sie erfüllt zu bekommen, ohne Erwartung an Gegenseitigkeit. Von einer Person, die man schön und erregend findet, bezeugt und bestätigt zu werden. Und vor allem, die Erfahrung von Erregung zu verkörpern. Körperlich zu sein. Vollständig berührt zu werden, von Kopf bis Fuß. Das Gesicht geküsst, die Ohren geknabbelt und köstlicher Druck auf jeden Quadratzentimeter des Körpers ausgeübt zu bekommen, der dich den ganzen Tag trägt – vom Bett ins Büro, in die Bahn und zurück durch so viele stressige Situationen.
Aber wie oft erlauben wir uns, verehrt zu werden? Besonders, wenn du queer bist und außerhalb der männlichen Identität fällst. Wann hast du dir zuletzt Raum genommen, nur für dich und dein ganzes erotisches Selbst, um berührt und gereizt zu werden, bis Ganzkörpererregung und Lust dich verschlingen? Stell dir vor, du würdest das regelmäßig tun. Was, wenn du den Glauben kultivierst, dass du tiefe, hingegebene Lust verdienst – oft und konsequent? Es kann ein Werkzeug sein zur Regulation, zum Aufbau von Selbstwert und tiefer Verbindung zu dir und anderen. Eine Chance, den intrinsischen Wert deines natürlichen Körpers zu spüren, seine ganze Präsenz und das angeborene menschliche Bedürfnis, Lust in Fülle zu empfangen. Um wieder anzuknüpfen an dieses verkörperte Wissen, das wir auf unserem Weg der sexuellen Reifung vergessen, unterdrücken und aufgeben gelernt haben. Bitte beachte, dass ich dies aus einer privilegierten Position heraus schreibe – aufgewachsen in einem wohlhabenden Land, relativ frei von starken kulturellen und religiösen Narrativen, die mich weiter von verkörperter Lust trennen. Für viele sind die Barrieren, zu dieser verkörperten Lust zurückzukehren, weitaus komplexer und verstärkt durch sich überschneidende Identitätsfaktoren, persönliche Traumata und geopolitischer Gewalt.
Aus meiner privilegierten Position habe ich beobachtet, wie in unserer hoch erotisierten, kapitalistischen Gesellschaft konforme Körper und die Anziehungskraft von Sexappeal und Schönheit die Mythen sind, die uns das System zu schätzen lehrt. Die Ziele, die laut Markt erreicht werden müssen. Heiß, straff, definiert, knackig, konturiert, seidig, haarlos. Aber was hat das mit der Fähigkeit zu tun, wahrhaft köstliche Lust zu fühlen und zu verkörpern? Nicht viel. Wahre erotische Lust hat wenig damit zu tun, wie dein Körper aussieht, und alles damit, wie er fühlen und kommunizieren kann, wie er wieder und wieder und wieder berührt werden möchte. Gegenwärtig bleiben zu können, wenn Erregung in deinem System aufsteigt, und dich nicht von Scham und Schuld zu distanzieren oder überwältigen zu lassen. Zu akzeptieren, dass du ein Recht auf Lust hast. Zu ehren, dass jeder Körper das Recht auf sexuelle Lust hat, egal wie anders dieser Körper und das Leben, das er verkörpert, zu deinem sein mögen. Statt dies zu fördern, lehrt uns die Gesellschaft, verkörperte Lust durch Konsum und Materialismus zu ersetzen. Wir werden verführt, Unterwäsche, Parfums, Make-up, Fitnessstudio-Mitgliedschaften, Drogen, Alkohol, Shapewear und chirurgische Eingriffe zu kaufen. Es ist zur Norm geworden, dass der Dopamin-Kick, auf »Bezahlen« in einem gut gefüllten Warenkorb zu klicken, genauso (oder mehr) erfüllend ist wie die Verehrung durch eine:n Liebhaber:in oder Freund:in. Also verbringen wir Stunden bei der Arbeit, sparen Geld, um Dinge zu kaufen, um heiß auszusehen und uns »begehrenswert« zu fühlen – und haben weiterhin enttäuschenden Sex. Und der Kreislauf wiederholt sich. Und wiederholt sich. Und wiederholt sich. Währenddessen baut all diese Energie, die für enttäuschende sexuelle Interaktionen verschwendet wird, die sexuelle Spannung auf, die so viele von uns spüren und hassen. Wolfspfeifen, Blicke und schlechte Anmachsprüche sind verzweifelte Versuche, in ihrem Verlangen gesehen und bestätigt zu werden – von dem viele sich unbeholfen entfremdet haben. Gleichzeitig wagen es wenige, verletzlich zu sein und zu kommunizieren, dass diese Normen sie hungrig nach sättigender Berührung und sexuell unterernährt zurücklassen.
Wenn dich diese Frustration also anspricht und du verzweifelt nach Veränderung suchst – vielleicht deiner eigenen sexuellen Revolution – dann beginne langsam und sanft. Nimm dir eine Stunde für deinen Körper nach einer heißen Dusche, um jeden Teil deiner Haut langsam mit köstlichem Öl zu berühren, bevor du überhaupt an deine Genitalien denkst. Dehne dich. Lerne wieder, was es heißt, deine Haut, Muskeln und Faszien bewusst zu spüren. Gewöhne dich wieder daran, was dein körperliches Selbst gut fühlen lässt. Um in Berührung gesättigt zu sein. Dann bitte eine:n vertraute:n Freund:in, dich auf die eine oder andere Weise zu verehren. Vielleicht bedeutet das, eng und liebevoll auf der Couch gehalten zu werden, während dein Kopf gestreichelt und gekrault wird. Vielleicht bedeutet es, deine Hand warm und fest gehalten zu bekommen, jeden Finger massiert und gedehnt. Vertraue dir, diesen Prozess langsam anzugehen, während du deine verkörperte Lust neu lernst. Bitte deine:n Liebhaber:in, ihr:sein Verlangen beiseitezulegen und Raum für deine Hingabe an die Lust zu schaffen. Vielleicht findest du eine Person in deinem Leben, die dich nicht nur mit ihren Händen, sondern mit der freudigen Last ihres Körpergewichts verehrt, während du nackt in tiefer Entspannung liegst. Lade deine Knie, Schultern, Hüften und Zehen mit voller Neugier in das Gespräch ein. Empfange deine Massage und atme tief, verstärke deinen Energiefluss. Erlaube dir zu stöhnen und zu zittern, während deine Lust intensiver wird – befreit von der Sorge um »Abwechseln« und der Angst, dass dein verkörpertes Verlangen gierig oder »zu viel« sei.
Ich glaube, wir würden so anders miteinander umgehen – nicht nur mit Partner:innen, Liebhaber:innen und Freund:innen, sondern auch mit den Fremden, die an uns vorbeigehen – wenn unser Bedürfnis nach körperlicher Berührung regelmäßig und nachhaltig genährt und erfüllt würde. Authentische erotische Lust und Verlangen sind ein Grundbedürfnis, das für uns erfüllt sein muss, und doch für viele schwer zu erreichen. Ein Grundbedürfnis, das durch menschliches Ego und gesellschaftliche Verleugnung seiner Wichtigkeit so kompliziert gemacht wurde. Wenn wir uns Raum geben, die Komplexität unserer selbst als erotische Wesen zu erforschen, befreien wir uns gegenseitig von Narrativen, die uns individuell und kollektiv nicht dienen. Wir erinnern uns daran, dass unter Kleidung und Schmuck, Brillen und Tattoos unsere Motive und Wünsche alle ziemlich ähnlich und animalisch sind: Sicherheit und Ekstase in unseren Körpern zu fühlen und in unseren physischen und so unendlich komplexen emotionalen Selbst akzeptiert zu werden. Vielleicht könnte eine kollektive Prioritätenverschiebung von Besitz, Materialismus und Eigentum hin zu verkörperter Lust wirklich Kriege beenden. Oder bin ich einfach nur eine überoptimistische Hure?
Wenn du dich berufen fühlst, dich der Magie erotischer Massage hinzugeben, aber jemanden brauchst, der dir dabei hilft, wirst du viele Paramours im Kollektiv finden, die diese Dienste anbieten. Wir freuen uns auf deine Nachricht.
Geschrieben von Maxx Amoor