Eigentlich mag ich Stühle gar nicht so gern…

Der Lesben-Sichtbarkeitstag (26. April) und die Lesbenwoche sind für uns ein wichtiger Moment, um gemeinsam die wunderbaren Lesben in unserem Leben zu würdigen. Mar Armagi, eines der neuesten Mitglieder des Paramour Collective, hat uns großzügig einige seiner Gedanken zu diesem Tag mitgeteilt.

Mar ist Performer, Sexarbeiter und Tänzer aus Köln. Er ist im Kollektiv „Sexarbeiter*innen Köln“ aktiv und hat unter anderem das Queer Lapdance Collective mitbegründet.

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Eigentlich mag ich Stühle gar nicht so gern. Eine Person hat mir mal erzählt, dass sie es schrecklich findet, auf einem Stuhl zu sitzen. Fühl ich. Ich muss sagen, ich habe noch nie normal auf einem Stuhl sitzen können. So 90 Grad. Beine angewinkelt. Po auf der Ablage. Und Rücken hinten an der Lehne. Macht mich unfassbar nervös. Ich saß schon in der Schule nicht „normal“ auf Stühlen. Hab mir immer vorgestellt, dass der Stuhl durchsichtig ist und mensch von unten alles sehen kann. Dann keine Unterhose an im Sommer. Mensch sieht mein Arschloch von unten. Und eine Nacktschnecke. Ich hab mal einen Stuhl auseinandergenommen. Also kaputtgemacht. Aus Wut. Meine Mama ist mal auf einem Stuhl zusammengekracht und hatte dann eine schlimme Verletzung am Steißbein. Ich hab zwei Stühle gleichzeitig auf einem Fahrrad transportiert. Ich hab den einen auf den Sattel gepackt und mich drauf gesetzt und den anderen über die Schulter. Sah bestimmt lässig aus. Es gibt unfassbar teure Designerstühle. Es gibt wahnsinnig hässliche auch. Bei Ikea. Woanders bestimmt auch. Ich hatte schon auf vielen Stühle Sex. Dafür sind sie echt ganz gut. Die Stühle. Und für Casting am Theater. Da spricht jede zweite Person ihren fucking Monolog mit einem Stuhl auf der Bühne. Warum eigentlich? Ich hab Antigone auch mit einem Stuhl gezeigt. Gabs überhaupt schon Stühle zu Sophokles Zeiten? Hab mal Chat GPT ge- , nein natürlich nicht. Fick Chat GPT. Hab Wikipedia gefragt. Die ersten Stühle wurden vor mehr als 5000 Jahren in Ägypten hergestellt und waren Statussymbole für Pharaonen, Priester und Beamte. Hot hot hot. Das macht die ganze lap dance Sache irgendwie noch weirder.

Ich hab ne Zeit lang in einem Stripclub in Frankfurt gearbeitet. Für süße und weniger süße cis Männers getanzt. Auch auf Stühlen. But it was never for them. Also for him. Also ihr wisst schon. Selbst, wenn sie faktisch im Publikum saßen. Es ist nicht angebracht, wenn mir irgendjemand sagen will, für wen ich tanze oder nicht. Egal wie ich mich bewege, egal wer im Publikum sitzt. Ich fühle, es ist falsch zu sagen: Bodywave, booty shake befriedigt einen „männlichen“ Blick. Ich drücke vielleicht Sinnlichkeit aus, aber das bedeutet nicht, dass ich es für eine bestimmte Gruppe tue und schon gar nicht speziell für einen cis Mann. In einem heteronormativen Rahmen könnten von Frauen ausgeführte Wellenbewegungen als Verführung eines Mannes betrachtet werden, aber auch das ist nicht darauf beschränkt. Und das ist auch nicht der fucking Rahmen.

Und was ist der Rahmen? Für wen tanze ich? Und wo liegt der Unterschied zwischen Sexualisierung und Objektivierung? Ich hab Chat GPT - nein, wieder nicht. 


Ich setze den Rahmen. In dem Moment, in dem ich entscheide, dass du dich - ohne dich auf einer tieferen Eben mit mir beschäftigen zu müssen - auf meinen Arsch konzentrieren darfst. In dem Moment, in dem ich dich auffordere, die Haare auf meinem Bauch zu betrachten, die Hände auf meinen Oberschenkeln, und du vielleicht ein bisschen horny wirst. 


Es macht einen Unterschied, ob ich mich auf einen Stuhl setze, weil ich von meiner Wut auf die inflationäre Nutzung von Chat GPT berichten möchte - und ihr währenddessen abschweift, mir zwischen die Beine guckt und euch fragt, wie groß mein dick wohl ist. Oder ob ich mich auf einen Stuhl setze und dir sage: setz dich gerne dazu, wenn du magst, und ich mich auf dich, wenn du magst, und mit meinem smirk lade ich dich dazu ein, mich zu sexualisieren. Diese Vorstellung gefällt mir. Von dir sexualisiert zu werden. In dem Moment, in dem ich es entscheide. In dem Moment, in dem ich entscheide, für wen dieser lap dance ist.

Dieses Gefühl hat mir schon immer gut gefallen. Ich bin einfach zu 99 Prozent slutty. Und zu 1 Prozent sehr schüchtern. Oder vielleicht auch andersrum. Wie auch immer. Ich hab mich durch die gesamte Oberstufe geschlafen. Ich habs geliebt. Gleichzeitig hab ich mich geschämt. Den anderen und mir selbst geglaubt, dass ich bisschen „unnormal“ bin. Weil ich Spaß an Sex habe. Nympho. Wie hieß diese schreckliche Dubstep Band, die ich nachts in meinem kleinen Opel Corsa gehört habe? Borgore. „This bitch is so used, I wouldn’t sell her at the second hand store. Cause her pussy is so wide that you could put your head inside.“ Ja. Vielleicht ist meine Pussy wirklich so wide, dass du deinen Kopf reinstecken kannst. Nur leider nicht darfst. Sorry. 



All das Trauma. Hat lange gedauert, bis ich gecheckt habe, dass Sex nicht intrinsisch schlecht ist. Mich wasted, wenn ich zu viel davon habe. Und dann fang ich an mit dem Abstreifen von Binarität und dem Bart und den Bauchhaaren und dem Testo und ich hab mich noch nie so wohl in meinem Körper - und beim lap dancing gefühlt. Ich genieße mein Monster-Whore-Dasein, ich wackele mit dem Arsch und lieb meine Titten und will sie abschneiden, weil ich die Vorstellung liebe, meine Titten zu lieben, wenn sie weg sind und trotzdem noch das gleiche Gefühl zu ihnen zu haben. Und ich geh vor dir auf die Knie und möchte einen Klaps von dir bekommen und noch

einen und noch einen und noch einen und noch einen und noch einen und- stopp! Oder ne, noch einen. Und möchte für dich, wie du da auf dem Stuhl sitzt, alles geben - I want to serve you - und ich tu das alles für dich und dann stimmt das ja so gar nicht weil eigentlich mach ich es für mich.


Und vielleicht mag ich Sex auch einfach, weil es sich wie aufgefangen werden anfühlt, weil ich mich spüre, wenn andere meinen Körper anfassen. Und vielleicht mag ich neben all dem Hot hot hot und lap dancing am meisten daran die Menschen, für die ich tanze. All die wunderschönen Lesben, Dykes, Butches, trans gods and queens, enbies, gays. Das queere Kollektive. Auch ohne Stühle. 



Happy Lesbian Visibility Day!

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Fotografierende Person: Mim Schneider

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